Du wirst mich als verrückt bezeichnen, wenn ich dir erzähle, was ich erlebt habe. Nun horche meiner Geschichte, denn sie zeichnet eine Weihnacht gar grimm und dunkel, dass ich niemals nicht glaubte, sie jemals zu erfahren. Es war dunkel als ich mitten in der Nacht aufwachte. Der Mond im Fenster war nur eine kleine Sichel. Das wenige Licht von ihm war unzureichend. Deswegen lag mein Schlafzimmer größtenteils in Dunkelheit. Der Blick wanderte von dem Fenster zu meiner Digitaluhr. Sie zeigte 3:07 in dunkelroter Glut. In kleineren Lettern stand darunter: 24.12. Ich wusste in diesem Moment: Ich werde nicht mehr einschlafen können. Das dröhnende Reiben, das mich geweckt hatte, erinnerte mich an das Schnarchen einer Höllenbestie aus einem Horrorfilm. Und doch musste ich aufstehen. Meine Neugier war größer. Ich zog die Decke von meinem Körper. Sie raschelte leise. Ich glaubte, das Geräusch meines Bettzeugs wäre das lauteste in der stillen Wohnung. Instinktiv blieb ich einen Moment stehen. Aber es geschah nichts. Der erste Fuß berührte den Fußboden, dann der andere. Die Kälte der Diele zog von den Füßen die Beine hoch und ich schüttelte mich. Obwohl die Heizung nachts an war, war mein Schlafzimmer erkaltet. Die Kühle erinnerte mich an ein Schlachthaus. Eisfinger waren an der Türklinke zu sehen und mein Atem gefror. Ich zog mir schnell die achtlos auf den Boden geschmissene Kleidung an. Mir war immer noch kalt, aber mit der Extralage Stoff fühlte ich mich besser. Ich hatte gar nichts, was ich als Waffe verwenden konnte. Trotzdem ging ich an die Tür und wartete einen Moment, ob ich das Geräusch wieder hörte. Ja. Da war es wieder. Ein Schleifen, als ob nackte Schuppen an Stein scharrten. Ich schluckte und ergriff die Klinke der Tür. Sie war eiskalt und erster Frost bildete sich darauf. Wenn ich nicht schnell die Türe öffnete, würde meine Hand an der Klinke kleben bleiben. Also überwindete ich mich. Es knarzte und quietschte laut als ich beherzt meine Schlafzimmertüre öffnete. Und ich glaubte meinen Augen nicht. Mein Schreck ließ mich zur Salzsäule erstarren. Ich wagte nicht zu atmen und mein Herz blieb einen Moment stehen. Selbst der Schrei, den ich vor Grauen ausstoßen wollte, hing in meinem Hals wie ein kalter Kloß, den ich nicht runterschlucken konnte. Die Luft gefror um mich herum. Die kalte Wärme meines Schlafzimmers ließ eine Nebelwand in das Wohnzimmer ziehen und bedeckte gnädig die Szene. Meine Augen taten weh und ich zwang mich, sie für einen Moment zu schließen. Ich hörte mehr, wie sich die Gestalt langsam zu mir umdrehte - ein schleifendes Geräusch auf den Dielen. Und der Fußboden zitterte als ein erster Schritt gemacht worden war. Ich hatte Angst. Ich fürchtete die Kälte. Aber mehr bangte ich, meinen Verstand zu verlieren würde ich wieder die Augen öffnen. Mein Körper zitterte. Meine Fußsohlen klebten schon an dem Boden fest. Weglaufen konnte ich nicht mehr. Ich hörte einen weiteren Schritt, diesmal näher - wie kam es so schnell auf mich zu? Ein Hauch von Kälte streifte mein Gesicht. Wären meine Augen offen, ich wäre wohl wahnsinnig geworden. Gewaltig und schrecklich hörte ich eine Stimme in meinem Gehirn wie ein Seziermesser: "WARUM BIST DU WACH, MENSCH?" Ich wollte etwas sagen, aber ich schaffte es nicht. Ich dachte wieder an das Geräusch, was mich weckte. "OH, DAS GERÄUSCH", ertönte es als ob es meine Gedanken lesen konnte. Die Resignation in der Stimme war nicht gespielt, aber sie ließ mich weiterhin an dem Fleck vor der Schlafzimmertür erstarren. Die Reibeisenstimme war unangenehm in der klirrenden Kälte. Ich spürte, dass ich gar nicht mehr meine Augen öffnen konnte, selbst wenn ich wollte. Sie waren zugefroren. Und ich war für einen Moment glücklich. "KÜMMER DICH NICHT, MENSCH. ICH BIN GLEICH FERTIG MIT DIR." Ich wollte um mich schlagen. Ich wollte schreien. Ich wollte fliehen. Aber nichts geschah, die Kälte hatte mich grimmig im Griff. Ich spürte die Stacheln des Eises in meinem Körper als ob ich mich in einer eisernen Jungfrau befände. Und mich erfasste die Müdigkeit, welche mich trostspendend wie ein Mantel umfasste. Mein Körper wollte mir nicht mehr gehorchen und es war nur eine Frage der Zeit, wann ich bewusstlos werde. Ich fühlte mich wie in einem aufrechten Glassarg. So sollte ich also sterben, dachte ich bei mir. "NEIN, SO NICHT.", sagte die Stimme mit Vehemenz. Wollte es mich auffressen? War ich jetzt ein Eis am Stiel? Ich stellte mir vor, wie die riesige, schartige Zunge zuerst meine Haut nach und nach ablutschte. Zärtlich perlte die Säure aus den riesigen Lefzen und zersetzte meine Muskeln. Und ich konnte nicht schreien, während es mich bei lebendigem - aber tiefgefrorenem - Leib auffraß. "NEIN!", ertönte es plötzlich von ganz anderer Stelle. Wie hatte sich das Wesen ohne weitere Geräusche von mir wegbewegt? Ich spürte nichts mehr, weder die Kälte noch meinen Körper. Dabei wusste ich, dass mein Tod so spürbar nah ist, dass es nur ein Niesen brauchte und ich würde in tausende Splitter zerbersten. "HERRJE", hörte ich noch - mehrmals hintereinander. "DABEI WARST DU DOCH BRAV. HALT NOCH DURCH, DER RETTUNGSWAGEN IST GLEICH HIER." Ich hörte noch ein Rumoren als ob alle Höllen gleichzeitig mich zu sich rufen wollten. "'TSCHULDIGE, ABER ICH HABE NOCH MILLIARDEN ANDERE KUNDEN UND MEINE ZEITMASCHINE IST NICHT MEHR DIE NEUESTE. ICH MUSS JETZT WEITER." Als ich im Krankenhaus wieder erwachte, sah mich der Arzt besorgt an. "Sie haben sehr viel Glück gehabt", sagte der Weißkittel ohne jegliche Begrüßung, "bei ihren Erfrierungen hätte ich mit Amputationen gerechnet. Aber nach ihrer aktuellen Lage kann ich sie morgen schon wieder entlassen." Ich war verwirrt. Instinktiv zog ich die Decke höher. "Was ist passiert?", fragte ich den Gott in Weiß. Mir war immer noch kalt und meine Erinnerung nach wie vor frisch. "Wir wissen es nicht...", seufzte der Arzt, "wir dachten, Sie könnten uns aufklären." Die ungestellte Frage blieb wie ein Damoklesschwert über mir hängen. Ich wagte es nicht, eine Antwort zu geben. Ob ich mich je wieder nach Hause traute? Der Erste Weihnachtsfeiertag brach an und ich wurde nach einem kurzen Frühstück entlassen. Zum Glück hatten meine Nachbarn einen Schlüssel, ansonsten wär ich aufgeschmissen gewesen. Ich stand zitternd vor der verschlossenen Haustür. Am liebsten hätte ich mich bei Freunden verkrochen. Aber ich konnte nicht ewig wegrennen. Das war der einzige Gedanke, der mich nach Hause geführt hatte. Der Schlüssel gleitete in das Schloss und ich öffnete meine Wohnungstür ohne hineinzugehen. Ich hatte mir vorgestellt, dass der Eingang ein Schlund wäre, der mich sofort auffraß. Aber alles sah normal aus. Es gab keine seltsamen Geräusche. Meine Wohnung war gut aufgeheizt. Der Schlüssel blieb in der Tür stecken, falls ich Hals über Kopf fliehen wollte. Also traute ich mich einen Schritt in mein Heim hinein. Mein Herz schlug mir bis zur Kehle, als ich langsam Richtung Wohnzimmer ging. Halb erwartete ich, den Schlund der Hölle dort vorzufinden. Doch während ich vorsichtig hinein lugte, erblickte ich neben meinem kleinen Weihnachtsbaum etwas anderes. Instinktiv zuckte ich zurück. Ich hielt die Luft an, schluckte trocken und nahm meinen Mut zusammen. Ich schloß die Augen und trat angespannt in den Raum. Nichts passierte. Bis ich mich traute, den Raum voll zu erfassen verging eine Minute. Ich wusste nicht, was mich erwartete. Und trotzdem überraschte es mich. Es waren herrlich eingepackte Geschenke, groß und klein. Die paar Geschenke von Verwandten und Freunden verblassten dagegen. Verdattert ging ich näher. Ein weihnachtlicher Duft nach Zimtsternen und Spekulatius empfing mich. Und ich entdeckte einen Brief auf dem größten, herrlichsten Paket. Mein Name stand in eleganten Lettern darauf. Ich nahm die Post in die Hand und betrachtete ihn von allen seiten. Es war normales Papier, keine Menschen- oder Tierhaut. Ich atmete auf und las den Brief: Mein Kind, es tut mir leid dich so erschreckt zu haben. Normalerweise bekommt ihr Menschen nichts davon mit, wenn ich komme und gehe. Aber ich kann dir versichern, Rudolf ist das allerliebeste Geschöpf auf diesem Planeten und tut keiner Fliege was zuleide. Obwohl ich gut unter Druck arbeiten kann war der Stress gestern einfach zuviel. Die Rubidium-Stickstoffkühlung meiner Zeitmaschine war implodiert und hat dein Sofa zerfetzt. Daraufhin hat Rudolf vor Schreck auch noch auf deinen Teppich gekackt. Das macht er sonst nie! In meiner ganzen Karriere ist mir das noch nie passiert. Das war einfach Pech. Ich hoffe ich krieg nächstes Jahr ein neues Modell von Gallifrey. Meine Wichtel haben in der Zwischenzeit deine Wohnung wieder hergerichtet und ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Ein Geschenk wird deinen Schreck wohl nicht richten. Aber dir mach ich das einzigartige Angebot, mich und Rudolf besser kennenzulernen. Vielleicht lindert es dein Trauma. Dein Weihnachtsmann